Ein Ständchen für Stephan

Bild: Rüdeger von Lutzau

„Situationsangemessene Tonlagen am Ende der Stadtverordnetenversammlung“

So lautete der letzte Punkt auf der Tagesordnung der Michelstädter Stadtverordnetenversammlung am 13. Juli 2021. Ein Dringlichkeitsantrag, der zu Beginn der Stavo einstimmig und ohne jedwede Aussprache in die TO aufgenommen wurde. Leise Irritationen unter den Nichteingeweihten in der Verwaltung inklusive Bürgermeister Kelbert. Spannung  im Publikum, was es damit wohl auf sich haben würde, die auch beim anwesenden Pressevertreter, dem Redaktionsleiter für den Lokalteil Odenwaldkreis der Echo Zeitungen Gerhard Grünewald, erst mit Aufruf des TO 25, dem letzten der Sitzung, nachlassen sollte. Grünewalds grandioser Beitrag zum folgenden, im Folgenden beschriebenen Vorgang ist unten (nebenstehend) zu lesen.

 

Der Vorsitzende der stärksten Fraktion im Michelstädter Stadtparlament, der SPD, brachte den Dringlichkeitsantrag ein und begründete ihn wie folgt:

„Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ende einer zwölfjährigen Ära nimmt heute seinen Anfang. Die heutige Stadtverordneten-versammlung war die letzte unseres Bürgermeisters Stephan Kelbert.
Bzw. sie ist es noch, denn noch ist er nicht abgehandelt, unser letzter Tagesordnungspunkt, unser fraktionsübergreifender Dringlichkeitsantrag.

Deine Irritation, lieber Stephan, zu Beginn der Stavo, bei der einstimmigen Aufnahme dieses Punktes in die TO, war nur eine leise. Umso lauter wird es jetzt, wohl nicht mehr einstimmig, aber einvernehmlich.

Wir alle wissen: deine offizielle Verabschiedung ist für den letzten Tag deiner Amtszeit, den 16. September vorgesehen. Bis dahin sind es noch 65 Tage, ca. 10 Magistrats- und genau 4 Ausschusssitzungen – aber es gibt eben keine Stavo mehr. Und wir dachten, so sang- und klanglos können wir unseren Bürgermeister heute nicht gehen lassen. Sang- und klanglos, das war das Stichwort.

Deshalb haben wir, die SPD, die ÜWG, die CDU, die Grünen und die FDP diesen Antrag eingebracht:
„Situationsangemessene Tonlagen am Ende der Stadtverordnetenversammlung“

Wir sind jetzt am Ende der Stadtverordnetenversammlung und die situationsangemessenen Tonlage ist, nein, nicht d-moll. Das bleibt den Posaunen von Jericho vorbehalten, die ja bekanntlich 7 Tage lange spielten, bis die Mauern der Stadt d-moll-iert waren.
Wir wollen weder die Stadtmauer Michelstadts noch die altehrwürdigen Mauern hier demolieren, im Gegenteil, die Odenwaldhalle wird  ja bekanntlich saniert werden. Deshalb ist  d-moll für uns keine angemessene Tonlage.

Viel angemessener ist C-Dur, denn was jetzt folgt ist eine kleine Pro-C-Dur. Sie wird nicht 7 Tage, noch nicht mal 7 Minuten dauern.

Möglicherweise könnte unsere Prozedur aber genauso geschichtsträchtig werden, denn es formiert sich einmalig der Chor des Michelstädter Stadtparlaments, Corona-verordnungskonform beschränkt auf 25 Sängerinnen und Sänger, die die Maske abnehmen dürfen.

Erstmalig ist das Ganze auch, wir hatten keinerlei Gelegenheit zum Üben, eine Premiere ohne Generalprobe also.  Und statt zur Posaune greifen wir lieber zur Klampfe.“

Gesagt, getan, nach kurzer Einstimmung intonierten die Sangeskundigen unter den Stadtverordneten aller Fraktionen den folgenden Antragstext:

Stephan ade,
Scheiden tut weh.
Und dieses Scheide-hen macht,
dass kaum ein Herz hier lacht.
Scheiden tut weh,
Stephan ade!

Stephan, good bye,
bald bist du frei.
Nächstes Mal sitzt auf dem „Thron“
Tobias Robi-hi-schon.
Bald bist du frei,
Stephan, good bye.

Stephan, hallo!
MZVO!
Weil der Ex-Chef dieser Stadt
künftig auf Müllhäuptling macht.
MZVO,
Stephan, hallo!

Die Sangeskundigen aller Fraktionen? Nein. Die  Grünen hatten vor Sangesbeginn den Saal verlassen. Begründung? Oben (nebenstehend) nachzulesen bei Gerhard Grünewald.
Eine Aussprache darüber erfolgte ebenso wenig wie über den Antragstext selbst. Stattdessen antwortete unmittelbar der inzwischen wieder gefasste Noch-Bürgermeister Stephan Kelbert. Und weil der es „mit Abschieden nicht so hat“, bleibt ihm und uns das Nachlesen seiner Abschieds- und Dankesworte an dieser Stelle noch erspart. Alles zu seiner Zeit. In diesem Falle kommt sie am 16. September.

Über „situationsangemessene Tonlagen zu Beginn der Stadtverordnetenversammlung“ am 17. September macht man sich in einschlägigen Kreisen  bereits intensiv Gedanken. Eines Dringlichkeitsantrags soll es dazu, wie es heißt, nicht bedürfen.