Nach rund einem Jahr Diskussion bleibt die Verkehrssituation im historischen Zentrum von Michelstadt fast unverändert
Ein Beitrag von Manfred Giebenhain, erschienen im Odenwälder Echo am 21.07.2022
Wie sich bereits zuletzt in den Sitzungen der Fachausschüsse abgezeichnet hatte (Echo vom 12. Juli „Weniger Verkehr und Barrieren sind das Ziel“), stehen sich in der Frage zur Verkehrssituation in der Altstadt zwei fast gleich große Blöcke unversöhnlich gegenüber. Nun ist am Dienstag die Entscheidung in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung gefallen: Eine Entlastung der Altstadt vom Auto- und Motorradverkehr wird es nicht geben, ebenso wenig ein Durchfahrtsverbot in den Nachtstunden an Wochentagen, wie es die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP in einem gemeinsamen Antrag verfolgt haben. Mit einer Mehrheit von einer Stimme haben ÜWG und CDU auch allen anderen Vorschlägen eine Abfuhr erteilt, die zur spürbaren Verkehrsberuhigung hätten beitragen können.
Mit der Mehrheit der beiden Fraktionen entschieden wurde lediglich der Austausch der mechanisch bedienten Schranke an der Zufahrt zur Braunstraße gegen einen elektronisch steuerbaren Poller sowie die Installation eines weiteren an der Zufahrt zur Häfnergasse. Dieser soll dazu dienen, den gerne von Autolenkern genutzten Schleichweg bei Bedarf dichtzumachen, was auch den Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP entspricht.
Mit deutlichen Worten aus den Reihen von ÜWG und CDU zurückgewiesen wurde ein weiterer Vorschlag aus dem anderen Lager. Dieser sah vor, an der Zufahrt in die Große Gasse (Höhe Modehaus Henschel) Poller anbringen zu lassen, mittels derer beispielsweise Zufahrtsberechtigungen auf Anwohner, Hotelgäste, Lieferanten und Rettungsdienste und dergleichen beschränkt werden, um die Gassen der Altstadt mit einem geringeren Aufwand als bisher bei Veranstaltungen absperren zu können.
Abstimmung spiegelt den Diskussionsprozess wider
Das Abstimmungsergebnis ist insofern von besonderer Bedeutung, dass es den vor etwa einem Jahr auf den Weg gebrachten Prozess abbildet, wie es diesen in dieser Form und vom Umfang her noch nie in der jüngeren Parlamentsgeschichte der Stadt gegeben hat. Mit dem eindeutigen Auftrag des Parlaments, Vorschläge zur Änderung der Verkehrssituation in der Altstadt auszuarbeiten, wurde im Herbst 2021 zum ersten Mal eine Parlamentarische Arbeitsgruppe (PAG) ins Leben gerufen. Diese hat in fünf Sitzungen unter Einbeziehung von Expertenmeinungen, Datenerhebungen und einer Bürgerbeteiligung Lösungsmöglichkeiten erarbeitet, mit dem Ziel, die Aufenthaltsqualität in der Altstadt spürbar zu verbessern. Bereits in der Schlussbetrachtung der PAG-Sitzungen, sowie zuletzt in den Fachausschüssen, zeichnete sich eine Zuspitzung der gegensätzlichen Positionen ab. In den Ausschüssen hatten die weiterreichenden Vorschläge von SPD, Grünen und FDP, ebenfalls mit nur knapper Mehrheit, noch die Nase vorn. Am Dienstag liefen diese Beschlussempfehlungen allerdings ins Leere. In der namentlichen Abstimmung setzten ÜWG und CDU mit zusammen 18 gegen 17 Stimmen zusätzlich durch, dass künftig auch in den Wintermonaten (2. Januar bis Gründonnerstag) die Zufahrtssperrung der Altstadt an Wochenenden aufgehoben wird.
Den Abstimmungen voraus ging eine vom Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Andreas Klar (SPD), verhängte Sitzungsunterbrechung mit der Aufforderung, im Gespräch miteinander Wege zu finden, um die Vielzahl an Einzelanträgen zu vereinfachen. Ohne Ergebnis endete der Versuch des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Michael Hüttenberger, mit konkreteren Formulierungen und Kompromissen, Bedenken bei CDU und ÜWG auszuräumen. Die Entscheidungen fielen in Kampfabstimmungen. Das Ergebnis spiegelt auch das aktuell schwer belastete Verhältnis zwischen SPD und ÜWG wider. Als Folge des Kommunalwahlergebnisses waren beide Fraktionen im Sommer 2021 angetreten, in der neuen Legislaturperiode einen neuen Stil in der Zusammenarbeit zu begründen. Dieser wurde unter dem Leitspruch „Findet der Stadt Bestes“ in eine Kooperationsvereinbarung gegossen. Mit Sätzen wie „Entscheidend für uns ist die Qualität des Arguments oder der Idee, nicht, von wem sie kommt“, wurden in dem Papier sogar andere Fraktionen zur Mitarbeit eingeladen.
Zustimmung für die „Lebendige Innenstadt“
Am Dienstag ein völlig anderes Bild gab das einstimmig beschlossene Maßnahmenpaket ab, das die Verwendung von Fördergeldern aus dem Landesprogramm „Zukunft Innenstadt“ unter dem Titel „Lebendige Innenstadt – Verbesserung der Aufenthaltsqualität“ vorsieht. Der von allen Fraktionen eingebrachte Antrag wurde einstimmig angenommen. Auf Missfallen stieß die Antwort von Bürgermeister Dr. Tobias Robischon (ÜWG), wonach er nicht ausschließen wollte, dass aus Kapazitätsgründen nicht alle beschlossenen Maßnahmen in der geforderten Zeit und damit abrechnungsfähig umgesetzt werden könnten.
Ebenfalls einig waren sich alle Fraktionen in einem anderen Punkt; dieses Mal aber, ohne auch nur ein Wort dazu verlieren zu müssen. Demonstrativ wortlos schmetterte die Versammlung den Vorstoß des Magistrats, vorgetragen vom Ersten Stadtrat Roger Tietz (SPD), ab, die Wertgrenzen für über- und außerplanmäßige Aufwendungen und Auszahlungen deutlich anzuheben. Dabei handelt es sich um Gelder, die der Magistrat ohne Einbeziehung des Parlaments in Fällen verausgaben darf, die unvorhergesehen, unabweisbar und unabdingbar sind. Anstelle der vorgetragenen 100 000 begrenzten die Abgeordneten die Summe auf 40 000 Euro.