Michelstadt beschließt eine Verschiebung des Durchfahrtsverbots am Wochenende / Neue Verkehrsleitplanung
Ein Beitrag von Manfred Giebenhain, erschienen im Odenwälder Echo am 28.07.2022
Wie geht es weiter in der Altstadt, die zuletzt in den Fokus der politischen Debatte gerückt ist? Die Meinungen darüber, ob der fast ungebremste Autoverkehr in den Gassen die Belebung und Aufenthaltsqualität in der Innenstadt befördert oder behindert, gehen weit auseinander. Erst vor wenigen Tagen hat die Stadtverordnetenversammlung mit großer Mehrheit beschlossen, die Schranke an der Zufahrt in die Braunstraße gegen versenkbare Poller zu ersetzen sowie die Zufahrt zur Häfnergasse ebenfalls über einen Poller steuern zu wollen (wie berichtet). Teil des Beschlusses, der auf einen Antrag der CDU zurückgeht, ist auch eine neue zeitliche Vorgabe, wie diese Instrumente der Verkehrsberuhigung eingesetzt werden sollen. Diese schließt nun den Freitag mit ein und sieht für das Wochenende eine Verschiebung des Durchfahrtsverbots in die Nachtstunden vor.
Zum Vergleich: Derzeit ist es verboten, mit einem motorisierten Fahrzeug samstags zwischen 15 und 20 Uhr sowie sonntags von 11 bis 20 Uhr die Braunstraße zu befahren. Ausnahmen gibt es für Anwohner und Hotelgäste, denen es erlaubt ist, den Weg über die angrenzende Häfnergasse zu nehmen. In der Frage von neuen Schließzeiten hat es nur noch für eine knappe Mehrheit aus CDU und der antragstellenden ÜWG gereicht. Wird der Beschluss von der Verwaltung korrekt umgesetzt, werden die Poller in Zukunft jeden Freitag um 18.30 hochgefahren und erst wieder um 5 Uhr abgesenkt. Am Samstag geschieht dies zwischen 13 und 5 Uhr und am Sonntag zwischen 11.30 und 0 Uhr. Die Sonntagsregelung wurde mit der Begründung beschlossen, dass Kirchgängern die Zufahrt in die Nähe der Stadtkirche zu ermöglichen sei. Der von Ausnahmen betroffene Personenkreis soll über die elektronische Steuerbarkeit der Poller zu seinem Recht kommen. Ein von SPD, Grünen und FDP verfolgter Antrag sah eine deutlich stärkere Einschränkung vor, die eine zusätzliche Nachtruhe von Montag bis Donnerstag zwischen 22 und 5 Uhr mit sich gebracht hätte. Unstrittig weiterhin gelten die Zufahrtsbeschränkungen und -sperrungen bei größeren Veranstaltungen.
In diesem Zusammenhang beschlossen wurde ferner auf Betreiben der CDU die vorhandene Beschilderung durch ein modernes Parkleitsystem zu verbessern. Neu ist, dass die Braunstraße vom 1. November bis zur Eröffnung des Weihnachtsmarkts und vom 2. Januar bis Gründonnerstag auch am Wochenende für den motorisierten Verkehr uneingeschränkt geöffnet bleiben wird, also auch in den Nachtstunden.
Von wie vielen Fahrzeugen ist überhaupt die Rede, die Tag für Tag über die Bahnhofstraße oder die Neutorstraße auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadtgassen bis hin zur zentralen Braunstraße unterwegs sind und wieder am oder um den Lindenplatz herum verschwinden? Diese Frage hat sich auch die Cittaslow-Arbeitsgruppe gestellt und in der zweiten Junihälfte an drei Wochentagen an drei relevanten Stellen in der Braunstraße eine Verkehrszählung durchgeführt. Die Ergebnisse spielten bei den Beratungen in der letzten Sitzung des Parlaments nur am Rande durch einen Wortbeitrag eine Rolle, obwohl die Auswertung der Verwaltung schon länger vorliegt.
Um ein möglichst differenziertes Bild zu erlangen, wurde das Verkehrsgeschehen an jedem Tag zu einer anderen Uhrzeit eine Stunde lang beobachtet (an einem Montag zwischen 11 und 12 Uhr; Mittwoch von 14.30 bis 15.30 und an einem Freitag von 17 bis 18 Uhr). Dabei wurde an den sogenannten Zählstellen auch aufgenommen, welche Fahrzeuge kurzzeitig oder länger geparkt wurden und welche dem reinen Durchfahrtsverkehr zuzuordnen sind. Die erhobenen Daten sind zu allen drei Zeiten annähernd deckungsgleich: Unter den zwischen 84 und 97 erfassten Fahrzeugen in einer Stunde betrug der Anteil an Personenkraftwagen 84 Prozent. Das Auffälligste: Von allen Fahrzeugen fuhren deutlich mehr als die Hälfte (an jedem Tag 50 beziehungsweise 51; entspricht 57 Prozent) ohne anzuhalten, wieder aus der Altstadt heraus, womit sie dem reinen Durchfahrtsverkehr zuzurechnen sind.
Erlaubt ist übrigens nur Schritttempo, was nach einer früheren Auskunft des Ordnungsamts dieser Zeitung gegenüber 10 Stundenkilometern entspricht. In einer im Herbst 2019 vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung in der Braunstraße sowie in der Unteren Pfarrgasse wurde deutlich, dass unter den damals rund 16 000 erfassten Fahrzeugen nur 5,5 Prozent der Fahrzeuglenker sich an die vorgeschriebene Begrenzung gehalten hat. Die Vorgabe, in den Gassen der Altstadt sich nur mit Schrittgeschwindigkeit fortbewegen zu dürfen, geht auf die Anordnung im Zuge der Altstadtsanierung in den 80er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts zurück. Ziel war es, die beim Befahren von Kopfsteinpflaster stärker auftretende Geräuschentwicklung (im Vergleich zu einem asphaltierten Straßenbelag) mit Rücksicht auf Anwohner und Passanten durch eine spürbare Geschwindigkeitsbeschränkung abzufedern.